Stellungnahme zur Aufführung von Russia : Today am 10. Mai in Berlin im Rahmen von INTO THE OPEN


In der vergangenen Woche wurde Into the Open als Veranstalter der Aufführung in Berlin von einer Gruppe von Aktivisten & Medienschaffenden kontaktiert mit dem Vorwurf, die Aufführung am 10. Mai 2025 sei Teil einer russischen hybriden Kriegsführung gegen Europa und die Welt. Dieser Aufruf ist hier zu finden: https://sites.google.com/view/brlncultresist/deutsch?authuser=0

Wir nehmen diese Anschuldigungen sehr ernst, so zielen sie doch auf den Kern des ITO-Projekts ab, welches wir als offenes Forum für kreative, innovative und gesellschaftlich-relevante Kulturprojekte verstehen, die sich unseren demokratischen Werten verpflichtet fühlen. Nach Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland und den dort zuständigen Länderreferaten möchten wir zu den Anschuldigungen wie folgt Stellung beziehen:  


Die dokumentarische Oper Russia : Today ist ein kritisch-reflektierendes Musiktheaterwerk, das sich im Kern mit der inneren Zerrissenheit Russlands auseinandersetzt – und ist keinesfalls russische Propaganda, sondern im Gegenteil ein künstlerisches Zeugnis gegen autoritäre Strukturen, Kriegsgewalt und staatlich gesteuerte Desinformation.


Das Werk basiert auf über fünf Jahren intensiver Recherchearbeit des jüdischen US-Komponisten Eugene Birman, der 2019 durch Russland und dessen Nachbarländer reiste, um anonyme Stimmen russischsprachiger Menschen einzufangen. Diese Stimmen zeigen ein komplexes, aber in Summe deutlich kritisches Bild des heutigen Russlands – mit Aussagen wie „Russia is a dictatorship“ oder „Russia was an empire, now it’s a mess“. Auch positivere Äußerungen wurden aufgenommen, was der dokumentarischen Ehrlichkeit verpflichtet ist, nicht der Verharmlosung. Die Musik, konzipiert als Requiem, unterstreicht die dystopische und todgeweihte Atmosphäre der Aussagen. Der Werktitel selbst ist eine bewusste künstlerische Aneignung und Umkehrung des bekannten Propagandamediums "Russia Today".


Alle Mitglieder des Kreativteams – darunter der kürzlich unter unklaren Umständen in Moskau verstorbene russische Autor Lev Rubinstein – haben sich klar gegen den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine positioniert. Viele von ihnen mussten Russland aufgrund ihrer künstlerischen Tätigkeit verlassen oder sind bei einer möglichen Rückkehr bedroht. Das Werk „Russia : Today“ wurde in Russland verboten. Die Einnahmen früherer Aufführungen in zuletzt London (Kings Place, 2023) und Oxford (2024) wurden an Hilfsorganisationen gespendet, die ukrainische Geflüchtete unterstützen. In Berlin wird es nun vom international gefragten britischen Vokalensemble EXAUDI zur Aufführung gebracht, einem der führenden Ensembles für zeitgenössische Musik, das für seine kompromisslose künstlerische Auseinandersetzung bekannt ist.


In Anbetracht aktueller Falschbehauptungen stellen wir klar: Russia : Today ist ein unabhängig entstandenes Kunstwerk des Komponisten Eugene Birman und erhält keinerlei finanzielle Unterstützung durch russische Förderinstitutionen, staatliche Stellen oder mit Russland verbundene Strukturen. Die Produktion wurde ausschließlich durch westliche Institutionen ermöglicht, darunter mehrere US-Botschaften, die Solomon R. Guggenheim Foundation, das österreichische Außenministerium sowie weitere europäische und internationale Organisationen. Sie alle haben das Projekt in dem Wissen unterstützt, dass es sich inhaltlich explizit kritisch mit den gesellschaftlichen Entwicklungen in Russland auseinandersetzt.


Das Werk wurde international vielfach besprochen – die Rezeption in renommierten Medien spricht für sich:

"A powerful immersion in the complexities and contradictions of contemporary Russia."
– Andrew Jack, Financial Times

"Topical though Russia : Today seems, it dates from before Russia’s invasion of Ukraine. Yet the themes it explores — post-Soviet nostalgia, uncertainty about Russia’s place in the world, anxiety about escalating conflict — seem eerily prescient."
– Andrew Dickson, The New York Times


Komponist Eugene Birman betont:

„Als selbst Geflüchteter, der 1994 wegen religiöser Verfolgung aus Russland fliehen musste, weise ich jegliche Verbindung zwischen mir und diesem Projekt sowie jegliche noch so entfernte Nähe zu russischer Propaganda entschieden zurück – das Gegenteil ist der Fall. Die künstlerische Leitung und weitere Beteiligte von Russia : Today, das am 10. Mai von INTO THE OPEN präsentiert wird, mussten entweder aufgrund der Entstehung dieses Projekts das Land verlassen oder wären bei einer Rückkehr ernsthaft gefährdet. Ebenso durfte das Libretto des Werks wegen seiner – wenn auch anonymen – politischen Aussagen gegen die Richtung des Landes nie offen in Russland veröffentlicht werden.“


Zum Titel des Werks erklärt Birman:

„Durch die Verwendung des Titels Russia : Today wollen wir das von Russland finanzierte Propagandamedium unterwandern, indem wir uns diesen Titel aneignen für ein Werk, das auf fünf Jahren Recherche basiert – ausschließlich finanziert durch Fördermittel von NGOs und westlichen Regierungen (eine vollständige Liste findet sich in unserem Online-Archiv) – und aktiv darum bemüht ist, Wahrheit ans Licht zu bringen.“


Zudem wurden sämtliche Ticketeinnahmen früherer Aufführungen an Hilfsorganisationen gespendet, die Geflüchtete aus der Ukraine unterstützen – Menschen, deren Leben und Freiheit durch die russische Aggression massiv beschädigt wurden. Into the Open als Veranstalter bezieht ukrainische Künstler*innen seit jeher intensiv in seine Programme mit ein. Eine enge und fruchtbare Beziehung besteht zum ukrainischen Komponisten Valentin Silvestrov, dem nicht nur mehrere Konzerte gewidmet waren, sondern der auch 2 Kompositionen nach 2022 explizit für ITO-Veranstaltungen schrieb. Darüber hinaus hilft ITO in Form von humanitärer Hilfe und im Integrationsprozess von geflüchteten ukrainischen wie auch russischen Staatsbürgern.


Gerade weil in totalitären Regimen wie Russland (und anderen) der freie künstlerische Ausdruck unterdrückt wird, ist es heute dringlicher denn je, für demokratische Werte einzustehen – und jenen Stimmen Gehör zu verschaffen, die unter persönlichem Risiko ihre Perspektive auf die Entwicklungen in Russland geteilt haben. Diese Stimmen sind im Werk hörbar – sie sind das Werk.


Für Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung unter : hello@intotheopen.eu

 

Mit freundlichen Grüßen

Into the Open – Team

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